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Enkeltaugliche Kulturproduktion


Till Briegleb

04. Oktober 2021

 

 

Die Anzahl von Ausstellungen und Projekte, die sich mit der Zerstörung der allgemeinen Lebensgrundlage durch den Menschen befassen, nimmt dauernd zu. Selbst große Kunstfestivals wie die documenta 2022 sind bemüht, dem Thema der globalen ökologischen Krise Gehör zu verschaffen. Die Konsequenzen, die Institutionen für sich selber ziehen, befinden sich dagegen meist in einem Stadium, als sei Klimawandel eine ganz neue Nachricht, und nicht eine wissenschaftliche Vorhersage, die rund 50 Jahre alt ist. Seit dem Bericht des Club of Rome von 1972, „Die Grenzen des Wachstums“, hat sich das grundlegende Wissen über die Folgen unserer Lebensart im Kern kaum verändert: Die Welt ist nicht zu klein für die Menschheit, sie ist zu klein für ihre Gewohnheiten.


Doch diese Einsicht wurde in großen Komplexen der Kulturvermittlung bisher mindestens so konsequent verdrängt wie in allen anderen Bereichen, die vom ungebremsten Verbrauch der Welt profitieren. Selbst in Institutionen, die vereinzelte Maßnahmen für einen verringerten ökologischen Fußabdruck eingeführt haben, geschieht dies recht unsystematisch. Das jedenfalls ist das Ergebnis einer großen Umfrage, die ich im Sommer 2020 für das Kunstmagazin Art unter 70 Museen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie 10 internationalen Biennalen von Sydney bis Sao Paulo durchgeführt habe. 


Was wissen Museen über ihren ökologischen Fußabdruck?


Der Fragebogen umfasste zehn einfache Stichpunkte. Wie viel Energie wird für den Betrieb benötigt, wie viele Flüge für Mitarbeiter und Kunstwerke fallen pro Jahr an, wie viel Plastik und Fleisch wird im Haus oder bei den Festivals verbraucht? Wir haben gefragt, ob es jüngst Baumaßnahmen gab, und ob diese die Klimabilanz verbessert hätten, und wie hoch der CO2-Ausstoss des Betriebs in Tonnen ist. Außerdem wurden nach optimierenden Maßnahmen der Vergangenheit sowie Plänen für die Zukunft gefragt, mit denen die Museen „grüner“ werden wollen. Nach oft mehrmaligem Nachfragen lieferten konkrete Daten lediglich Zweidrittel der Teilnehmer. Der Rest schickte Bekräftigungen des guten Willens. Und die Anzahl der Fragebögen, auf denen zu allen zehn Aspekten eine Information geliefert wurde, war: Null. Keine einzige der befragten Institutionen weiß wirklich Bescheid, welchen Einfluss ihre Arbeit auf die Umwelt nimmt.


Ganze sechs Museen kannten ihren CO2-Ausstoß. Lediglich 15 Museen konnten angeben, wie viele Flüge ihre Mitarbeiter und der Leihverkehr im vergangenen Jahr verursacht haben (Maximum: 165, Minimum: 10). Nur 6 von 70 Museumsverwaltungen wussten, wie viel Plastik sie jährlich verbrauchen (Höchstwert: 4800 Tonnen). Und ganze drei Institutionen bezifferten die Fleischmenge, die ihre Museumsgastronomie verbraucht: 4.400 Kilogramm sind es in einem mittleren Haus pro Jahr. Das erzeugt circa 24.000 Kilogramm mehr CO2 in der Atmosphäre. Bei Biennalen wie in Venedig, wo für 600.000 Besucher primär fleischhaltige Nahrung verpackt in Plastik über den Tresen geht, dürfte diese Menge der Wochenwert sein. Auskunft geben konnten sie dazu nicht.


Die Frage, die sich nach dieser Umfrage klar stellt, ist: Wie will man Dinge ins Positive wenden, wenn man nicht einmal Basisdaten kennt, auf Grund derer man Entscheidungen fällen könnte? Dabei wäre die seriöse Antwort auf diesen Missstand eigentlich ganz einfach: Unabhängige Experten, so genannte Green Consultants, zu beauftragen, den Status Quo des gesamten Betriebs nach seinem Einfluss auf die Umwelt zu analysieren. Und zwar in allen Belangen vom Verpackungsmüll bis zum kuratorischen Konzept.


Die größten Umweltsünden der Kultur tauchen nirgends auf


Und dabei identifiziert man noch nicht einmal den größten Klimaschädling: es ist der Besucher. Wenn eine Million Menschen die Biennale in Sao Paulo sehen, dann werden dafür rund 300.000 Flüge gebucht. Genau solche Zahlen sind es, die überall verschämt verschwiegen werden. Denn solange das Betriebsziel ist, möglichst viele Zuschauer zu zählen, wird der Umweltschaden der Kulturinstitute durch keine andere Maßnahme ernsthaft verkleinert werden können. Und noch ein riesiger Schaden expansiver Kulturpolitik wird konsequent verheimlicht. Der Bau von neuen Häusern verursacht eine derartig uneinholbare Menge von Schadstoffen und ökologischen Problemen, dass alle laut gepriesenen „energieeffizienten Maßnahmen“ das nie mehr kompensieren können.


Für die circa 250.000 Tonnen Beton, die im Humboldtforum in Berlin verbaut wurden, entweichen auch 250.000 Tonnen CO2 in die Atmosphäre. Es braucht 24 Millionen Liter Wasser, nur, um den Zement herzustellen. Und die Produktion von über 20.000 Tonnen Stahl, der Steinfassaden, der Fenster und Hausanlagen verschlingt weitere Gigamengen an Energie, die später in keiner Bilanz auftauchen, wenn es um die Ökologie des Gebäudes geht. Würde man diese „Graue Energie“ mit einbeziehen, würde der horrende Ressourcenverbrauch prestigeträchtiger Neubauvorhaben vielleicht endlich die Frage aufwerfen, ob das nicht anders geht? Stattdessen greifen die meisten Verantwortlichen im Kulturbereich zu den gleichen Antworten wie Konzernmanager und Politiker, die den Kern des Klimaproblems nicht benennen wollen. Anstatt den mathematisch sicheren Katastrophenhorizont von exponentiellem Wirtschaftswachstum zu akzeptieren, wird nach den alten Helferlein dieser fatalen Leistungsform gerufen: Die Techniker sollen es richten. Die Techniker werden es aber diesmal nicht richten.


Neue Prioritäten für den Betrieb der Institutionen 


Vielmehr muss sich der Kultursektor dringend andere Fragen stellen: Welches sind neue Prioritäten für die Kulturvermittlung, die sich aus der Krise ergeben? Was ist zu tun, damit Kultur nicht weiter massiv der Umwelt schadet? Und gäbe es nicht positive inhaltliche Effekte, wenn man die Herausforderung der Krise annimmt? Um die Balance-Regler hin zu einer enkelgerechten Kulturproduktion zu verschieben, haben die Akteure einige naheliegende Parameter zur Verfügung.


1. Transparenz statt Verschämtheit
Um seriöse Entscheidungen über einen sauberen Betrieb zu fällen, müssten alle Kulturinstitutionen eine umfassende jährliche Untersuchung ihrer umweltrelevanten Belange durchführen, inklusive Lieferketten, Grauer Energie und der Verbrauche, die durch ihre Besucher entstehen. Um danach zu handeln.


2. Kooperation statt Konkurrenz
Wenn es um Zuschauerzahlen und öffentliche Aufmerksamkeit geht, wird der Wettbewerb der Institutionen von Politikern, Kunstmarkt und Statusdenken stark befördert. Kooperation als Leitgedanke kann in vielen Bereichen, vom Reisen bis zur Ausstellungsarchitektur, Alternativen anregen, die Ressourcen schonen – und vielleicht auch neue kuratorische Konzepte provozieren. 


3. Inhalt statt Prominenz
Angetrieben von der Kapitalmacht des Kunstmarktes haben große Bereiche des Ausstellungswesens die Züge eines Konsummarktes angenommen. Must Sees leiten die Publikumsströme. Diesen Trend umzukehren würde die Umwelt von großem Reiseaufkommen entlasten, und zudem Anregung statt Aufregung favorisieren.


4. Intensität statt Exklusivität
Produktive Auseinandersetzung wird weniger durch kurze Impulse als durch geduldige Prozesse befördert. Trotzdem ist der Event das Nonplusultra der aktuellen Kulturproduktion. Weniger, aber dafür intensivere Aufenthalte von Künstlerinnen und Künstlern vor Ort könnten die Qualität der Verständigung so verbessen wie Residenzen, Arbeiten an Lehreinrichtungen oder offene Ateliers.


5. Lokal statt International
Die Aufwertung lokaler Kontexte und Schätze ist im Kunstbetrieb mindestens so geboten wie in der Wirtschaft. Intelligente Sammlungspräsentationen und die Neudefinition des Museums als diskursiver Ort, wo weniger das geniale Meisterwerk bestaunt wird, als die gesellschaftliche Debatte geführt, wären eine wünschenswerte Priorität in Zeiten verschärfter Krisen.


6. Kreativität statt Konformismus
Schließlich wird die globale Bedrohungslage für alle täglich dringlicher, so dass nur ernsthafte Konsequenzen das Überleben vor der Katastrophe sichern, einer Katastrophe, die vor der Kunstwelt nicht halt machen wird. So lange noch Zeit ist, gilt es deshalb, die beschämende Konsequenzlähmung im Kulturbereich mit Einfallsreichtum und Mut zu überwinden. Denn so, wie es ist, kann es nicht bleiben


Autor


Till Briegleb


Till Briegleb ist Autor der Süddeutschen Zeitung und vom Kunstmagazin art. Neben den Themen Kunst, Architektur und Theater hat er sich in den letzten Jahren verstärkt mit dem Zusammenhang von Kultur, Umwelt und Wachstum beschäftigt. Für die Septemberausgabe von art entwickelte er einen Schwerpunkt mit großer Umfrage zum Thema „Wie grün ist der Kunstbetrieb?“ Er ist Autor diverser Bücher über Kunst und Architektur sowie des Essaybandes „Die diskrete Scham“, außerdem arbeitet er als freier Operndramaturg. Er lebt in Hamburg.   

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