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Lust am Gestalten


Ute Zander

14. Januar 2022




es ist weiß

sagt jemand

es ist schwarz

sagt jemand anderes

es sind Grautöne

sagt der Reformer

es ist bunt

sagt der Transformer




Dieses Gedicht war mein persönliches Fazit aus einer weiteren Global-Change-Forschungs-Tagung, bei der wieder einmal Diskussionen im Entweder-Oder-Modus geführt wurden, anstatt Sowohl-als-Auch Lösungen zu entwickeln und endlos über Trade-offs gesprochen wurde, anstatt zu überlegen, wie man die ihnen zu Grunde liegenden Rahmenbedingungen verändern kann.


Nach vielen Jahren als Beraterin an der Schnittstelle zwischen Nachhaltigkeitsforschung bzw. Global Change Forschung und deren konkreter Umsetzung in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten war es Zeit, das Thema Nachhaltige Entwicklung aus einer persönlicheren Perspektive anzugehen, Beruf und Berufung zusammen zu bringen: als Bildhauerin und auf einer grundsätzlicheren Ebene der Nachhaltigkeit.


Wie verändert man Systeme?


In ihrem Buch „Thinking in Systems“ (1) führt Donella Meadows eine Reihe von Leverage Points auf, Möglichkeiten den Hebel anzusetzen, um komplexe Systeme zu verändern. Sie arbeitet sich von den sehr handfesten Bereichen wie Konstanten und Parametern im System über Feedbackschleifen, Material- und Informationsflüsse, hin zu den immateriellen Bereichen der Regelwerke und Machtstrukturen, der Ziele und schließlich der leitenden Paradigmen. Und dann setzt sie noch einen Schritt obendrauf: Die Macht oder Fähigkeit, Paradigmen zu transzendieren. Ich habe schallend gelacht, als ich ihre Beschreibung dieses Punkts gelesen habe – erleichtert und befreit!


„actually, it could be fantastic!“


Paradigmen zu transzendieren, das ist für mich das Feld der Kunst und der Spiritualität, der Erfahrung ohne vorgegebene Wertungen, des Experimentierens und der Neugier. Zu oft – für meinen Geschmack – wird das Nachhaltigkeitsthema als Problem angegangen. Doch, wie der Gründer der Transition Town Bewegung Rob Hopkins im Film „Tomorrow“ so treffend bemerkt: „Actually, it could be fantastic!“ (2) Es ist die Gestaltungsaufgabe schlechthin. Und je mehr Menschen sich daran beteiligen, desto besser.


Stattdessen schrecken viele Menschen zurück vor den Vokabeln „Klimawandel“, „Nachhaltige Entwicklung“ oder „Große Transformation“. Sie lösen oft das Gefühl aus, dass ihnen hier etwas weggenommen oder verboten werden soll. Das führt bei einigen zu Hilflosigkeit, oder sogar zu Leugnung und Verweigerung. Hier kann die Erfahrung künstlerischer oder kreativer Aktivitäten Abhilfe schaffen.


Künstlerische Prozesse als Erfahrungsfeld ... 


In keinem Bereich habe ich jemals den Zusammenhang zwischen Freiheit und Verantwortung so klar und wirksam erfahren wie in meiner Bildhauerei. Das hängt nur teilweise an der Art wie ich arbeite: von einem Stück Baumstamm das Material abtragend, mit Beil, Messer und Klöppel, Raspel und Feile und schließlich Schleifpapier. Dieses Arbeiten beinhaltet eine unglaubliche Konsequenz. Jede Handlung hat irreversible Folgen. Oder flapsig ausgedrückt: Was weg ist, ist weg! 


Ich genieße die Freiheit des künstlerischen Arbeitens ohne Richtig und Falsch. Es gibt immer nur den nächsten Schritt und die Konsequenzen daraus. Das heißt, im Atelier befinde ich mich in einem geschützten Raum, einem wertfreien Rahmen in dem die Konsequenzen meines Handelns zwar erfahrbar und teilweise sehr emotional, aber nicht gefährlich oder gefährdend sind. Das Stück Holz und meine Werkzeuge setzen mir Grenzen des Machbaren und Möglichen. Aber innerhalb dieses Rahmens bin ich frei.


… und als Vorbild


Zugleich ist der künstlerische Prozess eine Art Prototyp des Lernens und Entwickelns, der sich auf andere Bereiche übertragen lässt. Es ist ein ständig ablaufender Zyklus aus Gestalten, Innehalten, die Werkzeuge hinlegen, fünf Schritte zurücktreten und in diesem Abstand die Figur umkreisen, Wahrnehmen aus unterschiedlichen Perspektiven ohne zu bewerten, das Wahrgenommene reflektieren anhand meiner Vision oder Idee von der Skulptur, Integrieren von Realität und Vorstellung, Entscheiden über den nächsten Schritt und wieder Handeln. 


Ich wünsche mir, dass mehr Menschen diese Art von Erfahrungen machen können: dass sie die Zusammenhänge zwischen Freiheit und Verantwortung unmittelbar erleben, dass sie Selbstwirksamkeit erfahren und Selbstbewusstsein aufbauen. Und dass sie darauf aufbauend ihre Ängste und Widerstände überwinden können und sich an der großen Gestaltungsaufgabe Nachhaltigkeit beteiligen. Auch das zu ermöglichen ist für mich eine Aufgabe von nachhaltiger Kulturpolitik oder besser transformativer Kulturpolitik.


Quellen:

(1) Meadows, Donella, Sustainabillity Institute (2008): Thinking in Systems, White River Junction, Chelsea Green Publishing Company.

(2) Dion, Cyril; Laurent, Melanie (2015): Tomorrow, Pandora Film.




Autorin


Ute Zander

Ute Zander ist unter der Firmierung „Lernprozesse für Nachhaltige Entwicklung“ als freiberufliche Beraterin tätig. Sie hat Forschungsprogramme und –projekte begleitet und in ihrer Umsetzungsorientierung unterstützt, zuletzt im Begleitvorhaben des BMBF Programms Nachhaltiges Landmanagement. Parallel dazu ist die seit 2001 Holzbildhauerin und kann sich seit 2008 in ihrem eigenen Atelier austoben.



Foto: Olaf Paproth

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